Shine, 1996, mit Geoffrey Rush, Armin Mueller-Stahl, Noah Taylor, John Gielgud
Die wahre Geschichte eines Pianisten mit einer psychischen Krankheit – eine schreckliche Geschichte, vor allem die Vater-Sohn-Beziehung, aber ein Film, der sich allgemeiner Zustimmung erfreut. Das liegt sicher auch an der schönen Musik.
Der Theologe unter den Gästen sieht den tyrannischen Vater sofort als säkularisierte Form einer jahrhundertealten orthodoxen jüdischen Tradition, und die Mechanismen, die der Vater gebraucht, um seinen Sohn und seine ganze Familie zu Untertanen zu machen, werden im Film schonungslos offengelegt. Gruselig.
Dann ist da natürlich das 3. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow. Ich mag das Konzert; ich höre es oft beim Bügeln, in einer Live-Version mit Martha Argerich, und ich habe es auch schon einmal gespielt – im Orchester natürlich. Für das Orchester ist es nicht so schwer, aber die Musikerin unter den Gästen stört sich daran, dass der Film so tut als sei dieses Konzert für den Solisten das schwerste von allen und als habe David Helfgotts Nervenzusammenbruch nach dem Konzert in der Royal Albert Hall mit der Komplexität und interpretatorischen Herausforderung dieses Stücks zu tun. Das sei Quatsch; Mozart oder Bach seien oft viel schwerer zu spielen.
Frau L. will wissen, ob Leute mit der schizoaffektiven Störung, an der David Helfgott leidet, zum Reimen neigten, denn er reimt die ganze Zeit. Ein interessanter Aspekt. Befragt man dieses Internetz dazu, fragt es zuürck: Was reimt sich auf schizoaffektive Störung? Und Wikipedia sagt dazu nur, Leute mit dieser Erkrankung neigten zu „Danebenreden, zerfahrener Sprache, Neologismen“. Geoffrey Rush spielt das absolut überzeugend, das ist bestimmt sehr schwer.
Im Abspann steht, dass Geoffrey Rush im Film auch sein eigenes Hand-Double war, was an sich ja recht beeindruckend ist – liest man allerdings ein bisschen in Pianistenforen herum, erfährt man, wie viele falsche Töne da zu sehen sind: „The guy’s hitting the wrong keys all through the whole clip. I wonder if they made it on purpose for pianists to figure out?” Unerhört!
Eine abseitigere Diskussion, inspiriert von Vivaldis Motette Nulla in mundo pax sincera, die im Abspann zu hören ist, dreht sich um die Frage, ob man zweifelsfrei hören könne, ob ein Mann oder eine Frau singt. Alle meinen ja, Frau L. meint nein und behauptet, „Jane Edwards“ sei das Synonym eines Knabensoprans oder Countertenors. Dann allerdings erzählt sie, wie sie zum ersten Mal Jochen Kowalski gehört hat und dachte: Was ist das? Carolin Emcke hat dieses Erlebnis in Wie wir begehren so beschrieben:
Als das erste Mal diese Stimme erklang, konnte ich mich nicht mehr rühren. Ich saß in der Staatsoper, in der letzten Reihe der Loge, die an den Balkon im ersten Rang grenzt, wie erstarrt, und hörte zum ersten Mal in meinem Leben einen counter tenor. […] Ich hatte so eine Stimme noch nie gehört. Sie schien alles zu überschreiten, was ich kannte und was galt. Sie schien körperlos zu sein, nicht dingfest zu machen, schwebend, jenseits aller Geschlechter.
Man hört es eben.
Was ungeklärt bleibt, ist die Szene, in der David Helfgott seinen Vater zum letzten Mal sieht – ist das ein Traum oder real? Wir wissen es nicht.